Geysostraße / Meysenbugstraße: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Geysostraße und Meysenbugstraße verlaufen mitten durch das Wohngebiet nördlich der Goetheanlage. Diese Großwohnanlage ist in den 1920er Jahren entstanden. Hier zeigt sich die Abkehr von der bis dahin üblichen Blockrandbebauung. Sozialer Wohnungsbau wurde als neue öffentliche Aufgabe erkannt und wahrgenommen. Wohnen mit "Licht, Luft und Sonne" gewann an Bedeutung für alle Bevölkerungsschichten (1931 schlug sich dies auch in der "Charta von Athen" nieder).
 
Die Geysostraße und Meysenbugstraße verlaufen mitten durch das Wohngebiet nördlich der Goetheanlage. Diese Großwohnanlage ist in den 1920er Jahren entstanden. Hier zeigt sich die Abkehr von der bis dahin üblichen Blockrandbebauung. Sozialer Wohnungsbau wurde als neue öffentliche Aufgabe erkannt und wahrgenommen. Wohnen mit "Licht, Luft und Sonne" gewann an Bedeutung für alle Bevölkerungsschichten (1931 schlug sich dies auch in der "Charta von Athen" nieder).
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== Architektur ==
 
== Architektur ==
 
Es ist eine der für die damaligen Verhältnisse modernsten Wohnanlagen, geplant von den Architekten Catta & Groth und Gerhardt & Schäfer. Die verputzten Häuserblöcke mit Walmdächern sind senkrecht zum Hang geplant und werden von Kopfbauten in der Goethe-bzw. Friedrich-Ebert-Straße abgeschlossen. Zwischen den so entstandenen Karrees verbinden drei Treppenanlagen und die Meysenbugstraße die Geysostraße mit der Goethestraße. Die Wohnungen in den 4-5-geschossigen Gebäuden sind meist Ost-West-orientiert, in den Kopfbauten Nord-Süd.  
 
Es ist eine der für die damaligen Verhältnisse modernsten Wohnanlagen, geplant von den Architekten Catta & Groth und Gerhardt & Schäfer. Die verputzten Häuserblöcke mit Walmdächern sind senkrecht zum Hang geplant und werden von Kopfbauten in der Goethe-bzw. Friedrich-Ebert-Straße abgeschlossen. Zwischen den so entstandenen Karrees verbinden drei Treppenanlagen und die Meysenbugstraße die Geysostraße mit der Goethestraße. Die Wohnungen in den 4-5-geschossigen Gebäuden sind meist Ost-West-orientiert, in den Kopfbauten Nord-Süd.  
Die kompakte Anlage wird durch die hanglagebedingte Höhenstaffelung aufgelockert. Im Norden wurde ein Teilkarree nicht ausgeführt. Das freie Grundstück gegenüber der Wintershall an der Friedrich-Ebert-Straße wird als Parkplatz, der Hangbereich als Grünzone genutzt.
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Die kompakte Anlage wird durch die hanglagebedingte Höhenstaffelung aufgelockert. Im Norden wurde ein Teilkarree nicht ausgeführt. Die Wettbewerbspläne der Architekten dokumentieren dies.  Das freie Grundstück gegenüber der Wintershall an der Friedrich-Ebert-Straße wird als Parkplatz, der Hangbereich als Grünzone genutzt.
  
 
== Städtebau ==
 
== Städtebau ==
Die bauliche Figur folgt einem strikten orthogonalen Muster. Gemeinschaftliche Freiflächen - mit der Funktion einer Abstandsfläche - bilden fast geschlossene Höfe. Kopfbauten und Gebäudeecken, sowie die einprägsamen Torbauten sorgen für eine charaktervolle Gestaltung im Rahmen des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Die Grundrisse zeigen eine für die Zeit der  Weimarer Republik bereits selbstverständliche Komfortlösung mit Küche und getrennten Bädern. Der fortschrittliche Wiener Genossenschaftswohnungsbau lässt grüssen. Obwohl die neue Sachlichkeit in dieser mit Satteldächern geprägten Stadtlandschaft nicht vertreten ist, zeigt sich bereits in der städtebaulichen Anordnung ein Rationalitätsprinzip. Und die rationale Fenstergliederung steuert bereits auf das Prinzip Einfachheit hin.
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Die bauliche Figur folgt einem strikten orthogonalen Muster. Gemeinschaftliche Freiflächen - mit der Funktion einer Abstandsfläche - bilden fast geschlossene Höfe. Kopfbauten und Gebäudeecken, sowie die einprägsamen Torbauten sorgen für eine charaktervolle Gestaltung im Rahmen des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Die Grundrisse zeigen eine für die Zeit der  Weimarer Republik bereits selbstverständliche Komfortlösung mit Küche und getrennten Bädern. Der fortschrittliche Wiener Genossenschaftswohnungsbau lässt grüßen. Obwohl die neue Sachlichkeit in dieser mit Satteldächern geprägten Stadtlandschaft nicht vertreten ist, zeigt sich bereits in der städtebaulichen Anordnung ein Rationalitätsprinzip. Und die rationale Fenstergliederung steuert bereits auf das Prinzip Einfachheit hin.
  
 
Die vorgefundene Hanglage ermöglicht oder erzwingt eine Terrassierung, die der gesamten Situation gut tut. Es ergeben sich schöne Einblicke in das Areal und auf die Goetheanlage. Eine Besonderheit bildet das Haus Friedrich-Ebert-Straße 179, das fast Einzelhauscharakter besitzt und in seinen Proportionen an das Goethehaus in Weimar erinnert.
 
Die vorgefundene Hanglage ermöglicht oder erzwingt eine Terrassierung, die der gesamten Situation gut tut. Es ergeben sich schöne Einblicke in das Areal und auf die Goetheanlage. Eine Besonderheit bildet das Haus Friedrich-Ebert-Straße 179, das fast Einzelhauscharakter besitzt und in seinen Proportionen an das Goethehaus in Weimar erinnert.
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Aktuelle Version vom 3. März 2015, 13:40 Uhr

Kurzbeschreibung

A3 Geysostraºe-Wo234a 15.jpg
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Die Geysostraße und Meysenbugstraße verlaufen mitten durch das Wohngebiet nördlich der Goetheanlage. Diese Großwohnanlage ist in den 1920er Jahren entstanden. Hier zeigt sich die Abkehr von der bis dahin üblichen Blockrandbebauung. Sozialer Wohnungsbau wurde als neue öffentliche Aufgabe erkannt und wahrgenommen. Wohnen mit "Licht, Luft und Sonne" gewann an Bedeutung für alle Bevölkerungsschichten (1931 schlug sich dies auch in der "Charta von Athen" nieder).

Sozialer Wohnungs- und Siedlungsbau war hier nach dem Weltkrieg möglich geworden, weil die Stadt die Planungshoheit über das Stadtviertel von der Aschrott’schen Verwaltung bekommen hatte. Diese Art des Wohnungsbaus war bei allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten prägend für die Stadtpolitik in der Zeit der Weimarer Republik. Bis heute wird die Anlage als attraktiver Wohnstandort geschätzt.

Geschichte

Die Geysostraße ist bereits 1894 in der Aschrottschen Planung im Bebauungsplan verzeichnet und wurde 1903 ausgebaut. Sie wurde als kurze Nordost-Südwest-Diagonale symmetrisch zur Diakonissenstraße um die Achse Stadthalle-Huttenplatz angelegt. Im weiteren Verlauf wird sie auf Grund der topographischen Verhältnisse parallel zwischen Friedrich-Ebert-Straße und Goethestraße geführt. Bereits 1905 wurden die ersten drei Wohnhäuser (Nr.18, 20, 22) von Arthur Kühnlein gebaut. Es sind typische Beispiele für die gründerzeitliche Bebauung.

Die weitere Bebauung der Geyso- und Meysenbugstraße entsteht erst über zwanzig Jahre später als Teil der Gesamtanlage Goetheanlage, die in den 1920er Jahren geplant und bis 1933 ausgeführt wurde. Die Goetheanlage wird durch zwei Großwohnanlagen gefasst, eine südliche zwischen Herkulesstraße und Wilhelmshöher Allee und die nördliche zwischen Goethestraße und Friedrich-Ebert-Straße, zusätzlich erschlossen von der Geysostraße. Zwei Bauträger beteiligten sich am Bau der Nordseite, die heutigen „Vereinigten Wohnstätten 1889“ und die heutige „GWH“. Die Häuser Nr. 7,9,11,16,24,26 (im oberen, diagonalen Straßenteil)sind noch heute im genossenschaftlichen Besitz der „1889“. Die anderen großen Wohnblöcke in der Geysostraße sind postalisch der Friedrich-Ebert-Straße und der Goethestraße zugeordnet. Die Wohnungen gehören der GWH bzw. sind als Eigentumswohnungen verkauft worden.

Architektur

Es ist eine der für die damaligen Verhältnisse modernsten Wohnanlagen, geplant von den Architekten Catta & Groth und Gerhardt & Schäfer. Die verputzten Häuserblöcke mit Walmdächern sind senkrecht zum Hang geplant und werden von Kopfbauten in der Goethe-bzw. Friedrich-Ebert-Straße abgeschlossen. Zwischen den so entstandenen Karrees verbinden drei Treppenanlagen und die Meysenbugstraße die Geysostraße mit der Goethestraße. Die Wohnungen in den 4-5-geschossigen Gebäuden sind meist Ost-West-orientiert, in den Kopfbauten Nord-Süd. Die kompakte Anlage wird durch die hanglagebedingte Höhenstaffelung aufgelockert. Im Norden wurde ein Teilkarree nicht ausgeführt. Die Wettbewerbspläne der Architekten dokumentieren dies. Das freie Grundstück gegenüber der Wintershall an der Friedrich-Ebert-Straße wird als Parkplatz, der Hangbereich als Grünzone genutzt.

Städtebau

Die bauliche Figur folgt einem strikten orthogonalen Muster. Gemeinschaftliche Freiflächen - mit der Funktion einer Abstandsfläche - bilden fast geschlossene Höfe. Kopfbauten und Gebäudeecken, sowie die einprägsamen Torbauten sorgen für eine charaktervolle Gestaltung im Rahmen des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Die Grundrisse zeigen eine für die Zeit der Weimarer Republik bereits selbstverständliche Komfortlösung mit Küche und getrennten Bädern. Der fortschrittliche Wiener Genossenschaftswohnungsbau lässt grüßen. Obwohl die neue Sachlichkeit in dieser mit Satteldächern geprägten Stadtlandschaft nicht vertreten ist, zeigt sich bereits in der städtebaulichen Anordnung ein Rationalitätsprinzip. Und die rationale Fenstergliederung steuert bereits auf das Prinzip Einfachheit hin.

Die vorgefundene Hanglage ermöglicht oder erzwingt eine Terrassierung, die der gesamten Situation gut tut. Es ergeben sich schöne Einblicke in das Areal und auf die Goetheanlage. Eine Besonderheit bildet das Haus Friedrich-Ebert-Straße 179, das fast Einzelhauscharakter besitzt und in seinen Proportionen an das Goethehaus in Weimar erinnert.

Sehenswürdigkeiten / Besonderheiten

Die Einmündungsbereiche in die Geysostraße sind jeweils besonders ausgeführt. Im oberen Teil flankierte man die abknickende Einfahrt von der Friedrich-Ebert-Straße mit zwei hohen Wohnhäusern mit Arkaden im Erdgeschoss (Nr.11 und 26). Das Haus Nr.26 (Verwaltung Vereinigte Wohnstätten 1889) wurde nach schweren Kriegsschäden wieder aufgebaut. Im unteren (westlichen) Teil ist die Geysostraße torartig überbaut. Durch diese beiden städtebaulichen Besonderheiten wird die Abgeschlossenheit der Anlage betont.

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Bedeutung der Straßennamen

Geysostraße: Nach Johann von Geyso, 1593-1661 (siehe Link 1 und unten)

Meysenbugstraße: Ursprünglich nach der alten hessischen Adelsfamilie Meysenbug (den Namen gab es schon seit 1210). Seit ein paar Jahren hat man die Straße aber Malwida von Meysenbug, 1816-1903, gewidmet (initiiert durch Meysenbuggesellschaft und Archiv der deutschen Frauenbewegung). Malwida von Meysenbug war nicht verwandt mit der Familie Meysenbug. (siehe Link 2)

Die Geysostraße verdankt ihren Namen der althessischen Adelsfamilie Geyso, aus der zahlreiche Offiziere stammten, von denen der bekannteste vermutlich Generalleutnant Johann Freiherr von Geyso ist, dessen Name eng mit der Geschichte Hessens im 30jährigen Krieg (1618-1648) verbunden ist. Die Namensgebung würdigt Adel und Militär. Johann Freiherr von Geyso wurde in Borken am 26. Januar 1593 als Sohn eines Rentmeisters und seiner Frau, die aus einem Homberger Ratsherrengeschlecht stammte, geboren. Im Alter von 16 Jahren ging er an die Hamburger Universität um Jura zu studieren, zog später nach Schweinfurt, um in der Kanzlei eines Advokaten zu arbeiten, aber auch um seine eigentliche Berufung zu finden. "Selbsten ist er uff den Gedanken gerathen, in der Profession von einem Soldaten sein Fortun zu machen", heißt es in einem alten Familienbrief. Seine Karriere wurde anfangs von Landgraf Moritz unterstützt, der ihn frühzeitig zu Moritz von Oranien auf die Kriegsschule schickte. Unter diesem diente Geyso zuerst in den Niederlanden, später kämpfte er unter der schwedischen Krone im schwedischen, polnischen und moskauwitischen Krieg, danach für die böhmichen Stände und unter dem Grafen Matthias von Thurn. In der Schlacht am weißen Berge nahm er als Hauptmann teil. Weiterhin diente er unter dem Herzog von Sachsen-Weimar als Rittmeister sowie unter Christian IV. von Dänemark. Im Jahre 1628 wurde Johann von Geyso nach vielen Kriegsjahren jedoch von der Landgräfin Juliane in den Dienst Hessens zurück­geführt und Amtsmann zu Eschwege, später auch Generalquartiermeister und Truppenführer. Eine besondere Rolle spielte er im Rahmen des hessischen "Bruderzwistes", des Erbstreites zwischen Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel um Oberhessen (Marburg). Dieser wurde im Rahmen des 30jährigen Krieges ausgetragen, der Darmstadt auf der Seite des Kaisers und seiner Anhänger, Kassel im Bündnis mit dem Schwedenkönig, den Franzosen und den oppositionellen Reichsständen sah und in dessen Verlauf kaiserliche, schwedische und französische Truppen bei der Plünderung und Verwüstung des Landes wetteiferten. 1623 hatte der Reichshofrat ganz Oberhessen dem Landgrafen Ludwig V. von Darmstadt zugesprochen, ein Ergebnis, mit dem sich die Landgräfin Amalie Elisabeth nicht zufrieden gab, weshalb sie Vereinbarungen, die in Verhandlungen mit Darmstadt erzielt worden waren, aufkündigte und die militärische Lösung suchte. 1645 beauftragte sie ihren General Geyso im Zusammenwirken mit den Franzosen und den Schweden mit der Wiedereroberung Oberhessens. Die kampferprobten, den Darmstädtern überlegenen Truppen marschierten in Oberhessen ein und siegten im letzten erbitterten Krieg um das Marburger Erbe. Die Stadt wurde im Oktober 1645 belagert und im November an Kassel übergeben - ein Erfolg, der vor allem auch Geyso zugeschrieben wird. Aber es ging hier nicht nur um den kurzfristigen militärischen Erfolg, sondern auch um die Verhandlungsposition bei den seit 1644 begonnenen Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück. Der "Westfälische Friede" (1848) bestätigte den ein halbes Jahr zuvor geschlossenen "Einigungs- und Friedensvertrag" zwischen den beiden Teilen Hessens und beendete den "Hessenkrieg", indem Landgraf Georg II. von Darmstadt auf Teile Oberhessens (Marburg) und eroberte Gebiete verzichtete und diese an Hessen-Kassel abtreten musste. Dies wird einerseits als Sieg der Landgräfin Amalie bewertet, mitunter fällt die Bilanz des 30jährigen Krieges für Hessen auch anders aus: am Ende des Krieges habe die (politische) Landkarte Hessens nicht viel anders ausgesehen als vor dem Krieg und es habe deshalb weder Sieger noch Besiegte gegeben. In einer Würdigung Geysos heißt es, dass er sich noch nach dem Krieg Verdienste erworben habe, bis er 1661 im Alter von 68 Jahren als Reichsgraf und Generalleutnant starb. Verlierer des Krieges und die auf jeden Fall Besiegten waren unzählbare Hessen: Soldaten, die ihr Leben hatten lassen müssen, und die Zivilbevölkerung, die unausgesetzt Kriegsgräueln, einem entsetzlichen Hunger und der Pest ausgesetzt war. Allein das Jahr 1636 "verwandelte ganz Hessen in eine Einöde", wie es in einer Chronik Kassels heißt. 18 hessische Städte und 100 Dörfer wurden zerstört. Kassel blieb weitgehend verschont, im Gegensatz zu anderen Städten: Die die Stadt belagernden Truppen Tillys zogen wieder ab und "tobten" sich in Hannoversch Münden aus. Woanders betrug der städtische Bevölkerungsverlust durchschnittlich 30 Prozent und auf dem Land waren Bevölkerungsverluste zwischen 50 und 90 Prozent zu beklagen. Wie in jedem Krieg gab es einen wirklichen Verlierer, die einfachen Menschen, die während und nach dem Krieg die Opfer waren. Mit Banketten, Jagden und Feuerwerken wurde am Hof in Kassel das Ende des 30jährigen Krieges gefeiert. - aus: W. Matthäus (Hg.), Vom Hohenzollernviertel zum Vorderen Westen, Kassel 2005

Es ist nicht ganz klar, wem die Seitenstraße zur Goethestraße mit der Namensgebung Meysenbugstraße wirklich gewidmet wurde. Die alten Adressbücher machen hier widersprüchliche Angaben. Die alte hessische Adelsfamilie war zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgestorben. Die berühmteste Namensträgerin, Malwida von Meysenbug hat mit dieser Familie aber nur den Namen gemeinsam, den ihr Vater für die Familie durch die Erhebung in den Adelsstand 1825 erhielt. Träger des alten Namens erscheinen zum ersten Mal 1210 in Felsberg mit Gütern, in Retterode erwarben sie später Besitz, bis zum Ende des 14. Jahrhunderts auch in mehreren anderen Orten. In Lichtenau waren sie über Jahrhunderte Burgmannen, die die landgräfliche Besatzung der Stadt bildeten. Im Mittelalter war die Zentralgewalt schwach ausgeprägt, im Alltag herrschte Gewalt, die vor allem adlige Grundherren ausübten und kaum eingedämmt werden konnte. Offenbar tat sich in der Familie von Meysenbug besonders Johannes oder Hans von Meysenbug im 15. Jahrhundert als gewaltbereiter Ritter hervor - unter Landgraf Ludwig I., dem Friedfertigen. In blutigen Fehden unter der niederhessischen Ritterschaft verwüstete er zum Beispiel Dörfer, um einen befreundeten Adligen zu rächen. Die Familie teilte sich Laufe der Jahrhunderte in zahlreiche Zweige und ihre Mitglieder bekleideten in Hessen, Waldeck und benachbarten Ländern hohe Stellungen. Mitte des 17. Jahrhunderts war die sie wohl auf dem Höhepunkt ihrer Entwick­lung, auch was den Besitz anging. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts ging die Zahl der Familiemitglieder aber stark zurück, bis schließlich 1787 der gesamte Besitz an den unverheirateten und kin­der­losen hessischen Landrat Hei­nrich von Meysenbug fiel, mit dem die Familie ausstarb. Von dem ursprünglichen hessischen Adelsgeschlecht von Meysenbug zeugen heute vor allem Schloss (siehe Foto) und Park bei dem Emstaler Ortsteil Riede. 1443 verkaufte Henne von Wehren das Schloss an die Meysenbugs, in deren Besitz es bis 1810 blieb, als Landrat Heinrich von Meysenbug starb und das Anwesen an die Familie von Buttlar ging. Der letzte von Meysenbug schuf noch die Parkanlage mit romantischem Waldpark, die heute instand gesetzt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Heinrich von Meysenbug gab auch die Aufträge für vier Grabmale an den Kasseler Bildhauer und Professor der Kunstakademie Johann Christian Ruhl, die im Landschaftspark Aufstellung fanden. Der letzte Meysenbug wird in der älteren Literatur als "sonderbarer" Mann geschildert, als Edelmann alter Schule, freigebig bis zur Verschwendung, als liebenswürdiger Lebemann, der nach dem Motto gelebt haben soll: Mag nach mir die Sintflut kommen. In Riede waren Gäste jederzeit willkommen, sie konnten kommen, wann sie wollten, sollten aber ohne Abschied gehen. Uhren gab es in den Tagesräumen nicht. Der lebensfrohe Landrat wollte nicht an Zeit und Vergänglichkeit erinnert werden.

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Heute bekannter ist die Familie hugenottischer Herkunft (aus der Gegend von Nimes), der Malwida von Meysenbug entstammte. Ludwig Carl Georg Philipp Rivalier (geb. 1779), ein Jugendfreund des Kurprinzen und späteren Kurfürsten Wilhelm II. hatte in die angesehene Kasseler Bürgerfamilie, die Hansells, eingeheiratet. Aus der Ehe mit Ernestine von Meysenbug, geb. Hansell gingen zwölf Kinder hervor, von denen zehn das Kindesalter überlebten, das vorletzte unter ihnen die 1816 geborene Malwida. Ihren Vater Philipp Rivalier, Freund, Hofbeamter und später Staatsminister, erhob der reaktionäre Wilhelm II. 1825, als Malwida neun Jahre alt war, in den erblichen Adelsstand der ausgestorbenen Familie von Meysenbug. Als nach den revolutionären Unruhen der Kurfürst 1831 das Land verlassen und ins Exil gehen musste, begleitete ihn der konservative von Meysenbug. Die Familie war von da an getrennt. Malwida zog mit ihrer Mutter nach Det­mold, der Vater starb 1847, nachdem ihm noch 1834 von Kaiser Franz I. von Österreich der Freiherrentitel verliehen worden war. 1828 war er von Kurfürst Wilhelm II. mit dem bis dahin Zessenschen Rittergut in Lauenau, einem Flecken in der Grafschaft Schaumburg, belehnt worden, wo noch heute mit Carl Erdmann Rivalier Freiherr von Meysenbug ein Nachfahre auf dem im Tudorstil umgebauten Rittergut lebt und sich u. a. der Zucht von Araberpferden wid­met. - aus: a.a.O.

Malwida von Meysenbug wurde am 28. Oktober 1816 in Kassel als Malwida Rivalier geboren (vgl. Meysenbugstraße). Ihre Erziehung erhielt sie zusammen mit ihren neun Geschwistern im Haus an der Schönen Aussicht weitgehend von ihrer feinsinnigen und gebildeten Mutter Ernestine geb. Hanssell, bekam durch den Unterricht von Hauslehrern die damals übliche Bildung für höhere Töchter, ergänzte diese aber schon in ihren jungen Jahren laufend durch eigene Lektüre. Diese Freude an Bildung behielt sie Zeit ihres Lebens bei. 1831 ging die Mutter mit den beiden jüngsten Töchtern in die lippische Residenzstadt Det­mold. Die Familie wurde getrennt, weil der 1825 vom Kur­fürsten geadelte, hu­genottische Vater nach dem Rücktritt Wilhelms II. im Zu­sammenhang der revolutionären Er­eignisse 1830 die­sem als sein treuer Diener in das Exil folgte. In dieser Zeit war die Familie, die man mit der reaktionären Politik im Kurfürstentum identifizierte, das Ziel auch tätlicher An­griffe geworden, die einen Aufenthalt in Kassel nicht mehr ratsam erscheinen ließen. Am Hof in Detmold lernte Mal­wida tanzen und sich­ in französischer Sprache zu unterhalten, Klavier zu spielen, setzte gegen Widerstände auch durch, Un­­ter­-­r­icht im Malen zu erhalten. In der Freundschaft mit Theodor Althaus, dem Sohn des Pfarrers Georg Althaus, der sie konfirmiert hatte, wandte sie sich von gesellschaftlichen Vergnügungen ab und anderen Zielen zu, die für sie in der Zukunft lagen. An Althaus gefiel ihr der Gedanke der allgemeinen Volksbildung, die die Menschen befähigen sollte, ihre Rechte zu erkennen und am politischen, gesellschaftlichen und geistigen Leben teilnehmen zu können - auch die Frauen. Noch in Detmold gründete sie einen "Verein zur Arbeit für Arme". Während Althaus nach Leipzig ging, im Gefolge der Revolution von 1848 zu drei Jahren Festungshaft verurteilt wurde, die er nicht überlebte, siedelte Meysenbug nach Frankfurt über, wohin es ihren Vater im Gefolge des Kurfürsten verschlagen hatte. Hier wurde sie nach dem Tod des Vaters (1847) zu einer aktiven Sympathisantin der Revolution von 1848 mit ihren freiheitlichen Zielen. Mit prominenten '48ern korrespondierte sie, heimlich wurde sie zur Beobachterin des Vorparlaments (wo Frauen nicht zugelassen waren), ging auf die Straße, griff mit Flug- und Druckschriften ein, vor allem als die Revolution bedroht erschien ("Der Schwur einer Frau"). Meysenbug begriff sich als Demokratin, "Sozialistin" und interessierte sich so - anders als viele Demokraten - für die soziale Frage. Gleichberechtigung der Frauen in der Bildung, dadurch die Möglichkeit den Lebensunterhalt selbst zu verdienen, waren wesentliche ihrer Ziele, die sie auch im eigenen Leben verfolgte. In der prekären finanziellen Lage, in der sie nach dem Tod des Vaters war, nach dem Scheitern der Revolution und nach dem Bruch mit ihrer Familie, die ihr revolutionäres Engagement nicht verstand bzw. auf der aktiven Gegenseite stand, ging Meysenbug nach Hamburg, einem der letzten liberalen Refugien, um dort seit 1850 an der von Emilie Wüstenfeld neu gegründeten ‘revolutionären’ "Hochschule für das weibliche Geschlecht" zu studieren, die sie bald darauf - neben Männern wie Karl Fröbel - bereits in Leitungsfunktionen sah. Die Hochschule musste allerdings schon 1852 schließen. In Berlin, wohin es Meysenbug nun zog, war sie auf Grund ihrer Kontakte zu führenden Revolutionären der Beobachtung durch die preußische Geheimpolizei ausgesetzt und musste eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. Vor einer drohenden Verhaftung emigrierte sie noch im gleichen Jahr nach London. Seitdem war sie im Exil. In London, ihrer ersten Station, verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Lehrerin für Deutsch, mit Übersetzungen und schriftstellerischen Arbeiten. In der Stadt, die ein Fluchtpunkt für politische Emigranten aus vielen Teilen Europas war, die Meysenbug kannte und mit denen sie korrespondierte (z. B. Carl Schurz, Johanna und Gottfried Kinkel aus Deutschland, Louis Blanc aus Frankreich, Giuseppe Garribaldi und Giuseppe Mazzini aus Italien), lernte sie auch den russischen Sozialrevolutionär Aleksandr Herzen kennen und übernahm die Mutterstelle bei dessen jüngsten Tochter Olga bis zu deren Heirat mit Gabriel Monod (1873). Mit dieser reiste sie in den 60er Jahren zurück auf den Kontinent, nach Frankreich (wo sie in Paris Richard Wagner kennen lernte), später nach Italien (ihrer Wahlheimat seit 1862). Ihren Lebensunterhalt bestritt sie durch Übersetzungen, journalistische und schriftstellerische Arbeiten. 1869 erschien ihr Hauptwerk "Memoiren einer Idealistin" in Französisch in Frankreich, erst 1876 erweitert in Deutschland. Bei einem Aufenthalt in Bayreuth lernte sie Friedrich Nietzsche kennen, der sie auch in Rom besuchte und mit dem sie über Jahrzehnte hinweg einen regen Gedankenaustausch führte - ebenso wie mit anderen "Größen" der Zeit (z. B. dem Maler Franz von Lenbach oder Richard Wagner). In Rom führte Meysenbug eine Art "Salon", in dem bildungshungrige junge Menschen aus aller Welt aus- und eingingen, vor allem auch Frauen, der aber auch das Ziel von Romreisenden wie Ibsen oder Liszt war. Unter den von ihr Geförderten befand sich auch Romain Rolland, der spätere Nobelpreisträger. Malwida von Meysenbug starb am 26. April 1803 in Rom und ist auf dem Friedhof für Nicht-Katholiken, dem Testaccio-Friedhof, nahe der Cestius-Pyramide begraben. Auf ihrem Grab stehen die Worte "pace" und "amore" - ganz in der Nähe ruht der "Sohn Goethes", dessen Vornamen der Grabstein nicht verrät.

Zukunft des Ortes

Die Bausubstanz lässt auch aufgrund ihrer Qualität und ihrer geschlossen Bauweise kaum Nachverdichtungen zu. Die städtebauliche Dichte - das Verhältnis von bebauten Flächen zu Freiflächen, Gartenflächen - kann für einen dicht bebauten Stadtteil als angemessen bezeichnet werden. Ein künftiges Verbesserungs- und Aufwertungspotential liegt in der energetischen Sanierung, in der Erstellung von Barrierefreiheit, in der Erweiterung von mit Balkonen, Terrassen oder Loggien. Auch Eingangszonen können verbessert werden. Künftige Maßnahme werden sich hier auf Detailplanungen beziehen müssen.

Die Fläche an der Friedrich-Ebert-Stra0e, die z.Zt. als Stellplatzanlage genutzt wird, bildet eine Zukunftsoption für eine mögliche Nachverdichtung unter Berücksichtigung der Stellplatzfrage. Die prägende Baustruktur hat hier eine Lücke, die bei geschickter Planung eine angemessene Ergänzung zu dem halben Block nördlich der Geysostraße bilden kann.

Weblinks

Dateien

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Datei:FOTO2


Literatur

Wolfgang Matthäus (Hg.), Vom Hohenzollernviertel zum Vorderen Westen. Straßennamen, Geschichte und „Geschichtspolitik“, Kassel 2005

Wolfgang Matthäus/Mareike Görtz (Hg.), Wege von Frauen. Kasseler Straßennamen, Geschichte und Geschichtspolitik, Kassel 2006

Thomas Wiegand, Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Hessen. Stadt Kassel II, hg. vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden 2005